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Zu viele haben den Traum von der Freiheit auf der Strasse geträumt - was lachen Sie? Ich meine das nicht politisch, nichts liegt mir ferner. Am Anfang jeder Reise träume ich den Traum vom Aufbrechen. Im ersten Stau, und der kommt bald, bleibt er auf der Strecke. Dafür gibt es Anzeichen für ein neues Gemeinschaftserlebnis, eine Art von Stauromantik, da werden spontane Picknicks veranstaltet, Begegnungen geknüpft, Bierbüchsen hervorgezaubert. Zwischen dem Blech spielen Kinder, ich sehe zufriedene Gesichter, nicht wenige. Ha, was lachen Sie schon wieder? Ist doch wahr. Sehen Sie sich das nächste Mal ein bisschen um. Den Traum von der Freiheit gibt es immer noch. Auf dem Motorrad. So, und jetzt lache ich, weils mir Spass macht. Und trotz der Warnung, dass Motorradfahren die Gesundheit gefährden kann. Was schön ist im Leben, ist meistens auch riskant. Ich hätte es wissen müssen. Als Kind konnte ich nicht begreifen, dass Motorradfahrer aufrecht herumfahren können und nicht, wie es die Vernunft fordert, auf der Stelle umfallen. Nichts da, zu meinem Erstaunen hielten sie sich auf ihren zwei Rädern aufrecht, nun, mehr oder weniger, manchmal ja auch bedenklich schräg. Die allerersten Versuche mit einem Velo bestätigten meine Vermutung, dass ein Trick dabei sein müsse, spätere Erfahrungen liessen mich das Unmögliche in den Bereich des Möglichen rücken; ein bisschen Unsicherheit ist immer geblieben. Nicht, dass ich der Physik nicht trauen würde. Die Frage ist heute: Traue ich dem Fahrer? Beim Motorradfahren ist es wichtig, wie die Antwort ausfällt. Auf dem Motorrad ist das Gehäuse weg. Man ist nicht abgekapselt von der Umwelt. Ein Motorrad besteht aus einem Motor, einem minimalen Fahrwerk und zwei Rädern, die am Laufen gehalten werden wollen; es ist eine offene Fahrmaschine. Das merkt man, wenn man schnell fährt, da packt einen der Wind. Und was das Fahren anbelangt, das ist keine Beförderung, das tut man. Reisen laufen nicht ab wie der Film vor der Frontscheibe. Auf dem Motorrad erfährt man mehr von der Landschaft und kommt auch leichter vom Weg ab, das hat schon der alte Baedeker so gemacht. Auch die Natur erlebt man ungedämpft. Ein Gewitterregen ist für einen Motorradfahrer ein Ereignis von elementarer Gewalt. Wer es bequem haben will, lässt die Hände vom Lenker. Aber die Unbequemlichkeit hat es in sich. Ich bin auf meiner kleinen Honda durch die Gegend gebraust; da weiss ich, wovon ich schreibe. Die Honda ist eine Sie - warum sind Motorräder weiblich? -, und das Brausen bezieht sich auf das, was ich höre, nicht auf die Geschwindigkeit. Motorräder sind nicht ganz so schnell, wie es uns vorkommt, wenn wir hinter Windschutzscheiben, Sicherheitsgurten und Knautschzonen sitzen. Meine Knautschzone ist dünn, bloss am Kopf ist sie eine Daumenbreite dicker. Das macht mich nicht mutiger. Wenn ich unversehrt durchgekommen bin, davongekommen, habe ich das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Es ist ein gutes Gefühl. «Du spinnst», hat man mir gesagt. «Sieh doch nur, wie die fahren, wie die Säue fahren die. Ein Töff ist gefährlich und verdirbt den Charakter.» Daran hatte ich nicht gedacht. Dann beäugten die gleichen Leute meine hochbeinige rote Neuerwerbung mit so grossem Interesse, dass ich nicht mehr wusste, was an ihren Warnungen dran war. Siehe da! Ein paar meiner Bekannten opferten ihren guten Charakter ebenfalls und schafften sich noch im gleichen Sommer ein Motorrad an. Ein Jurist. Ein Computermann. Sylvia, eine angehende Lehrerin, die mir am meisten Eindruck machte: «Mit dem Ding fällst du auf die Schnauze und bist schlimmstenfalls nicht einmal ganz tot.» Und ein Unternehmer, der sich jetzt im grauen Flanell auf seine Maschine setzt, Rücken durchgedrückt, Aktenköfferchen hintendrauf, und losballert, auf den Weg zu sich selbst, wie er sagt. Wenn das Wetter mitmacht. Angefangen hat das alles mit dem Mann im Zweiradladen. «Für Sie?», hatte er gefragt, als ich ein Moped kaufen wollte. Wieso denn nicht? Ich fand das gut für kurze Wege und kleine Besorgungen. Wozu sollte ich dafür eine Tonne Auto durch die Gegend bewegen? Ausserdem hatte ich im Sinn, die städtischen Parkplatzprobleme zu lösen, für mich. Noch besser und wesentlich umweltfreundlicher löst man das mit einem Velo, weiss ich schon, aber ein Velo, das mir Spass macht, ist ein Sportgerät. Will ich damit einen Brief zur Post bringen, so muss ich ihn zwischen die Zähne stecken oder in einen Rucksack, nein, das kenne ich, das war es nicht, was ich suchte. Der Zweiradmann sagte, dass sich normalerweise Jugendliche ein Moped kaufen, aber eigentlich nicht, um damit Briefe zur Post zu bringen, sondern weil sie noch keinen Porsche kaufen können. Ah ja? War ich die falsche Kundschaft? Dann sagte der Zweiradmann, er wolle mir ja nicht zu nahe treten, aber so jugendlich sähe ich nicht aus - wie ehrlich! -, er schaute mich an mit dem Blick, mit dem man jemanden auf den rechten Weg führt: «Warum kaufen Sie keinen Töff'? Sie sind ja alt genug.» Dann passierten verschiedene Dinge zugleich. Ich war wieder Schüler, wusste, wie ich täglich zweimal den Weg den Berg hinauf trampte, manchmal in der grossen Pause auf dem Velosolex eines Mitschülers (er durfte eins habe, er hatte Kinderlähmung gehabt) ein paar Runden drehte, ohne trampen zu müssen, das höchste aller Gefühle verdiente ich mir, indem ich ihm in der Matheprüfung ein paar Ergebnisse hinüberschob -, da war ich wieder, das winzige Motörchen über dem Vorderrad hatte Folgen, ich begann von einer Norton zu träumen oder einer Indian, vielleicht würde ich es mit guten Noten sogar zu einer Harley Davidson bringen. Als ich das Alter hatte und das Geld auch fast, wurde es dann doch ein Auto. Wieso wird man bloss so jung schon so schnell alt. Ach. Aber da stand der Traum wieder vor mir. Nicht eine Harley, doch ein Motorrad, ein richtiges, hatte der Zweiradmann vor meine Füsse geschoben. Den Traum im Kleinformat. Und mein Verstand bekam Knicke. Er zeigt, wo man das Gas aufdreht und wo man bremst, wie man die Gänge schaltet, den ersten nach unten, die anderen fünf nach oben, stapelweise, dazwischen steckt der Leerlauf, unauffindbar, würde er nicht mit einem grünen Lämpchen angezeigt. Das wär's dann eigentlich, sagt er, und viel Spass noch. Brauche ich keinen Führerschein? Für eine 125er nicht, da reicht der Autoführerschein, sagt er. Und nach zwei Jahren darf ich ohne Prüfung auf eine schwere Maschine umsteigen, sagt er. Damit hat der Zweiradmann irgendwie an meinem Hirn vorbeigeredet und direkt in mein Innenleben hinein. Seither bin ich Motorradfahrer. Seither denke ich in Schräglage. Seither habe ich Vibrationen in den Knochen. Seither weiss ich, dass ich Kopf und Kragen und meine Haut riskiere, wenn ich einen Fehler mache. Ich versuche, keinen zu machen. Ich sitze hoch, ich habe den Überblick. Ich halte Abstand und achte darauf, niemandem in die Quere zu kommen und nie und nimmer auf meinem Vortrittsrecht zu beharren. Und begehe alle die Sünden, die Autofahrer an Motorradfahrern auf den Tod nicht ausstehen können. Ich schlängele mich vor dem Rotlicht zwischen stehenden Autokolonnen und vielen Rückspiegeln hindurch, manchmal streife ich einen. Wenn es zu eng wird, kurve ich nach aussen und drehe auf und bin schon weg, während all den Leuten in ihren Autos ja nichts übrigbleibt, als geduldig oder ungeduldig zu warten, bis es weitergeht, und sich gelb ärgern über die Flegel, die nach vorn zwitschern, als gäbe es keine Verkehrsregeln. Manche lassen das nicht auf sich sitzen. Manchmal geht vor dem Vorderrad überraschend eine Autotür auf. Da steigt man dann in die Bremsen, und wie. Manchmal wird es unheimlich eng: Es kommt vor, dass einer einen schnellen bösen Schwenk in unsere Richtung macht, oh, nur zum Schein, aber er wirkt: Der Adrenalinstoss bringt einen auf Touren. Ich habe das Fürchten gelernt. Ich bin gejagt worden, ich weiss nicht warum. Ich bin eingeklemmt worden, da wusste ich schon eher warum. Einer trat vor mir auf freier Strecke ohne ersichtlichen Grund auf die Bremse, ich auch, oh Schreck, die Strasse war nass, jetzt hat es dich, ging es mir durch den Sinn, ich rutschte weg und landete, wo ein Motorradfahrer über kurz oder lang landet. Auf dem Boden. «Um Himmels willen, was ist passiert, tut es weh, kann ich helfen, was soll ich jetzt machen?» Der besorgte Mensch mit den vielen Fragen war auch ein Autofahrer, das muss gesagt werden, einer, der seinen Abstand besser eingehalten hatte, zum Glück für mich. Nein, meine Schürfungen waren nicht das Problem. Es waren meine Knie, die derart schlotterten, dass ich meinen kleinen Töff nicht mehr aufstellen konnte. Da stoppte ein Motorradfahrer, stellte sein Gefährt auf den Ständer, zog sich die Handschuhe aus, grinste mich an. «Hast sie neu, hm?!» Er stellte mir mein Zweirad wieder auf. «Der hat dich überrascht, gell. Musst besser aufpassen. Sonst wirst du nicht alt.» Was hatte ich falsch gemacht? Ich war überfordert. «Du musst nicht auf seine Rücklichter schauen», er deutete auf die vorbeifahrenden Autos. «Schau den Fahrer an. In seinem Rückspiegel.» Er prüfte meine Beleuchtung. «Das Licht ist immer zuerst im Eimer», sagte er. «Falsch gebremst hast du auch. Vorn musst du mehr, hinten weniger. Du musst üben. Geh aufs Land. Bleib gesund.» Das Landleben.Die Lektion war kurz und wichtig. Ich fahre aufs Land, fahre vornehmlich auf Wegen, die so unbefahrbar sind, dass nicht einmal Verbotsschilder herumstehen. Ich fahre auf Schotter und Dreck, gaaanz langsam, in den Rasten stehend, dann wieder mit einem Affenzahn, hopple über Furchen und schliddere Böschungen entlang, fast quer manchmal, weil das Hinterrad seitlich abrutscht. Ich bin perplex, wie schnell man zu Boden geht, was hier nicht weiter schlimm ist, es macht keine Schürfungen. Es macht Muskelkater. Und Spass. «Um eine Linkskurve einzuleiten, zieht man am rechten Lenker», heisst es im Lehrbuch. Im Gelände ist das anders. Hier bestimmen die Furchen und Löcher den Kurs, wenn ich nicht kräftig dagegenstemme. Mit der Zeit lerne ich, das bockige Ding zwischen meinen Knien zu beherrschen und dorthin zu dirigieren, wo ich es haben will, mit durchdrehendem Hinterrad und mit abenteuerlichen Verrenkungen. Ich bin froh, dass mein Töff ein leiser Viertakter ist, ich kann kein Publikum brauchen, ich will keine Spaziergänger auf mich aufmerksam machen und auch keine Bauern. Und schon gar nicht ihre Hunde, denn die mutigen jagen uns, als wären wir nicht die starken Kerle auf den Eisenkisten, sondern Jogger oder Hasen. Einfach Gas geben? Geht nicht immer, die schneiden mir den Weg ab, merke ich, und setzen zu tollkühnen Sprüngen an. Besser, man bleibt stehen und lässt sich ein Weilchen verbellen. Wird es dem Hund zu dumm, darf man weiterfahren. Bellt man zurück, dauert es entschieden länger. Die Akrobaten.Das Motorrad beherrschen? Als ich das erstemal Trialfahrer sehe, weiss ich, dass ich gar nichts beherrsche. Im Gegensatz zu den Crossern, die in atemberaubendem Tempo durchs Gelände hetzen und eine Menge Dreck durch die Gegend schleudern, geht es Trialfahrern nicht ums Tempobolzen, sondern um die vollkommene Beherrschung ihres Vehikels. Ein Trialkurs ist gar kein Kurs. Er ist eine Folge scheinbar unüberwindlicher Hindernisse, Felsbrocken, Geröllhalden, Abhänge so steil, dass man auch ohne Motorrad nur mit Mühe hochkäme, wahre Abstürze -, Trialfahrer bewältigen das, sie stehen in den Fussrasten ihrer leichten Maschinen und sind eins mit ihr, so scheint es, sie können auf der Stelle stehenbleiben und mit Schwung das Vorderrad einen Meter hoch heben und über Felsbrocken klettern, als wären sie motorisierte Gemsen. Es scheint unmöglich. Wer das je gesehen hat, weiss, wovon ich rede. Die Schrauber.Es gibt viele Motorradfahrer, die das Werkzeug selbst in die Hand nehmen, wenn Wartung oder Reparaturen fällig sind. Sie schrauben sich durch die ganze Maschine hindurch und fühlen sich zuhause zwischen Kolben, Pleueln, Düsen, Zahnradpaaren. Anfangs dachte ich, sie tun das aus Spass oder so, vielleicht auch aus Sparsamkeit; es scheint mehr dahinterzustecken. Mir fehlt das technische Verständnis und obendrein die Courage, denn ein Murks an einem Motorrad ist etwas anderes als ein Murks an einem Auto. Ein Auto bleibt stehen, ein Motorrad fällt meistens um. Heute weiss ich, dass das auch der Grund ist, warum viele Motorradfahrer, nun, manche jedenfalls, selber schrauben. Es braucht wenig, dass man auf die Nase fällt. Eine gerissene Kette genügt. Nichts gegen die Arbeit der Werkstätten, aber im Selbermachen steckt Sinn. Wer sich darauf versteht, fährt wahrscheinlich besser. Soviel ich weiss, packen Fallschirmspringer ihren Fallschirm selber. Irgendwann, denke ich, werde ich mich näher mit der technischen Seite meines Zweirads beschäftigen. Mit meiner Sicherheit, meine ich. Bevor ich ans Nordkap fahre. Ja, das werde ich tun, der Gedanke sitzt unter dem Helm und lässt mich nicht mehr los. Ich werde im Moskitonetz fahren, weil einen sonst im Sommer - und wann sollte ich denn sonst dorthin fahren? - die Mücken glatt verspeisen, höre ich. Menschen sollen schon über Nacht radikal ausgesaugt worden sein und am Morgen nicht mehr erwacht, hört man. Es macht mir tiefen Eindruck. Und kanisterweise Benzin mitnehmen soll ich auch, und eine Apotheke, warme Sachen, genügend Proviant, Kochgeschirr, die Liste geht seitenweise weiter. Sie kommt von Motorradfahrern, die durch die Wüste, durch Afrika und über die Transamericana gereist sind, von Alaska bis Feuerland. Das ist er dann, der Traum von der Freiheit. Die Strasse fegt unter mir hindurch. Es ist dieselbe Strecke, die ich schon oft im Auto gefahren bin, umgeben von benutzerfreundlicher Technik, bequem und entspannt oder auch ein bisschen zerstreut. Auf dem Motorrad geht das nicht. Auf dem Motorrad ist man wach, die Reflexe laufen schneller ab. Die Strasse ist eine andere, man erlebt sie ganz direkt, man spürt an der Art, wie sie unter dem Vorderrad durchwischt, ihren Charakter. Es gibt gutmütige Strassen und andere. Kleine Dinge bekommen Bedeutung. Der Belag, Rillen, Tramschienen, Markierungen, vor allem, wenn sie nass sind. Der Strassenrand wird wichtig. Hat man einen Fluchtweg, wenn es brenzlig wird? Nichts für uns sind Leitplanken. Sie werden auch Sicherheitsplanken genannt. Für Motorradfahrer sind sie das Gegenteil. Für Motorradfahrer sind Landstrassen, kurvenreiche, verkehrsarme, entschieden schöner als Autobahnen. Und sicherer. Auch das Fahren in den Städten macht Spass, nicht so sehr das Fahren als vielmehr die grössere Beweglichkeit zwischen unbeweglichen Autoschlangen, die das ärgert, verständlicherweise. Der Ärger findet dann leicht ein Ziel, die Motorradfahrer. Es ist das falsche. Sie halten niemanden auf. Wird es grün, sind sie weg, bevor sich die Schlange in Bewegung setzt. Auch darüber ärgert sich die Schlange. Die Kinder.Ich muss das loswerden. Motorradfahrer, nicht wahr, das sind doch die wilden Kerle auf ihren Krachmachern? Sie sind rücksichtslos. Sie schneiden Kurven. Sie kümmern sich einen Dreck um Verkehrsregeln und erschrecken das Volk. Allein schon durch ihr Aussehen. Und erst recht, wenn sie in Rudeln auftauchen. Zum Fürchten, nicht? Sehen Sie genauer hin. Die meisten Motorradfahrer sind so manierlich wie alle anderen Strassenbenützer auch, meistens. Krachmacher? Moderne Motorräder sind leise, das können Sie hören, in der Schweiz noch leiser als anderswo. Klar kommt es vor, dass einer seinen Sound verbessert, indem er den Auspuff ausräumt. Die Freude ist kurz, das Auge des Gesetzes hört gut. Schneiden sie Kurven? Schräglage haben sie, es geht nicht anders, aber Kurven schneiden allenfalls Anfänger. Was bleibt denn noch? Das Aussehen? Ach ja, wie sie aussehen! Da darf man halt nicht nur mit den Augen schauen. Dass Motorradfahrer auffallen, hat Sinn; sie werden auch in knallfarbigen Kombis noch zu oft übersehen. Sind es die grossen glänzenden Kunststoffkugeln auf den Schultern, spiegelnde Visierscheiben statt Augen, die sie so fremd machen, gesichtslos wie Roboter, als wären sie nicht von diesem Stern? Das Gesicht sieht man, wenn der Heim ab ist. Da sieht man: Die Roboter sind ja Kinder, manche jedenfalls. Wild vielleicht und übermütig und stolz auf ihr starkes Spielzeug, Kinder eben. Und Kindern nimmt man nicht alles krumm, auch nicht im Verkehr. Zu Kindern soll man nachsichtig sein. So ist es doch. Das sind die modernen Raubritter, die wilden Kerle auf ihren Feuerstühlen, die meisten. Und die anderen, die alten Hasen, die haben gelernt, auf die Umwelt aufzupassen und auf ihre eigene Haut. Die, ach, wie heisst sie doch so schön - Partnerschaft?Fährt man Motorrad, sind es die Autofahrer, vor denen man sich in acht nimmt. Anders sieht es natürlich aus, wenn man selber Auto fährt. Dann sind die Töffahrer die Chaoten, schlimmer noch als zappelige Velofahrer, viel schlimmer als kopflos über die Strasse hühnernde Fussgänger. So gehen die Anschuldigungen und Vorurteile reihum, was natürlich Blödsinn ist, denn die meiste Zeit sind wir alle Fussgänger, nur der Gebrauch eines Gaspedals oder -griffs scheint manche Zeitgenossen vorübergehend zu etwas anderem zu machen. Zu was denn eigentlich? Zu Gegnern etwa? Hält ein Motorradfahrer vor einem Fussgängerstreifen, gibt es ungläubige Blicke. Und sehe ich im Rückspiegel, dass ein Auto mich verfolgt mit Geblinke und Gehupe und quietschenden Reifen, dann schwant mir nichts Gutes. Soll ich abhauen? Oder vielleicht doch anhalten? Ja, ich tu's. Wo habe ich den Mann bloss so sauer gemacht? Falsch. Er drückt mir ein rotes Päckchen in die Hand. Das kenne ich doch! Es ist mein eigenes Werkzeugtäschchen, es muss sich selbständig gemacht haben, und der Mensch hat das gesehen, hat angehalten, hat es aufgehoben und die Mühe nicht gescheut, mich kilometerweit zu verfolgen und das Rennen zu gewinnen. Ein Autofahrer. Das finde ich stark. Von der Sorte gibt es nicht wenige. Eine Dame belehrt mich, dass ich vergessen habe, den Seitenständer einzuklappen, wie nachlässig von mir, in der nächsten Linkskurve wäre ich garantiert darübergestolpert und auf die Nase gefallen - woher aber weiss das die Dame? So gibt es Anzeichen, dass Autofahrer gar nicht das sind, wofür Motorradfahrer sie halten. Und umgekehrt. Ein bisschen mehr Gelassenheit wär ja schön. Doch ob's der glaubt, der in der rush hour in seinem heissen Blech hockt und ewig weit vorn eine rote Ampel sieht? Ob's der glaubt, der auf seinem zweirädrigen Ofen frischfröhlich nach vorn räubert, auf dem Schlängelpfad oder auf der Linie oder auch ein bisschen links davon, wie es halt grad geht? Denkbar wäre, dass Motorradfahrer mit dem Vorteil der grösseren Beweglichkeit auch anders umgehen könnten. Hin und wieder grosszügig einen Vortritt verschenken, mit dem berühmten Handzeichen (wir sind ja so schnell wieder vorn). Das gibt lebhaften Kontakt und überraschende Reaktionen, manchmal richtig komische. Denkbar auch, dass mehr Autofahrer einmal ein Zweirad besteigen, motorisiert oder nicht, um eine andere Perspektive zu erleben, vor allem jetzt, im Sommer. Sie würden sich wundern, wieviel Spass das macht. Wir können uns dann ja bei Hudelwetter wieder missmutig anglotzen wie sieben Tage Regen, von Auto zu Auto. Oder bin ich nicht ganz bei Trost? Drückt mich jetzt der Helm?
Camille Corti (aus "Altstadt Journal" Ausgabe 1/88) zurück zu den Berichten |
Letzter 31.10.03 |